Otto Siffling

Eine Plauderei mit dem Mannheimer Internationalen von unserem H.K.-Mitarbeiter

Wie man Ballbehandlung lernt.

Vor einem Spiele um die Süddeutsche Meisterschaft, das der Sportverein Waldhof gegen eine Frankfurter Mannschaft im Mannheimer Stadion bestritt, spielte vor Jahren eine Waldhöfer Schülermannschaft, welche ihren Gegner nach einem selten schönen Spiele 6:0 bezwang. Ein Frankfurter Zuschauer, den die tadellose Zusammenarbeit und exakte Ballführung der Kleinen anscheinend in helle Begeisterung versetzte, stellte den Umstehenden einige Fragen über das „Woher“ dieses bei den kleinen Kerlen schon so ausgeprägten Könnens, bis er schließlich die Debatte mit den Worten schloß: Nun ja, dann bleibt nichts anderes mehr übrig, als in Zukunft die Waldhöfer Buben zu untersuchen, ob sie nicht schon mit dem Fußballverstand auf die Welt kommen. – Diese Untersuchungen haben meines Wissens nie stattgefunden, doch sind auch nie die Fragen verstummt, die nach einer Erklärung für so manch´ junges Fußballtalent, das auf dem Waldhof heranreifte, suchen. Ein ganz Schlauer glaubte des Rätsels Lösung gefunden zu haben, indem er erklärte: Alle Waldhöfer Buben spielen seit ihrer frühesten Jugend mangels eines besseren Platzes in dem sogenannten „Wäldchen“ bei der Spiegelfabrik Fußball. Dort stehen die Bäume so wahllos und dicht beieinander, daß ein Spieler im Zuge auf das gegnerische Tor nicht nur seine Gegner, sondern auch zahllose ihm im Wege stehende Bäume umdribbeln muß.
Ob Siffling in seinen Jugendjahren auch „gegen die Bäume“ spielte, entzieht sich meiner Kenntnis, doch sehen wir ihn schon im Jahre 1922 als

10-jährigen im blauschwarzen Trikot

auf dem alten Platze an der Waldhofschule, auf dem Platze, den noch alle Nürnberger und Fürther kennen, und auf dem er noch oft die einstigen Waldhöfer Internationalen Herberger, Höger, Hutter und Lohrmann spielen sah.
„Als Mittelläufer begann ich, so erzählte er mir, bis ich in den späteren Jahren meistens Halb- oder Mittelstürmer spielte, besonders seit ich im Jahre 1930, als 18jähriger, in der Ligamannschaft tätig war.“ In diese berief ihn der Waldhof-Trainer Tauchert, als er in einem Spiele der Ersatzliga mit allen sieben von ihm selbst erzielten Toren sein Können und seine fällige Berufung eindeutig unter Beweis stellte.
Seit dieser Zeit spielte er Jahr für Jahr, Sonntag für Sonntag in der Liga als Halbrechts oder Halblinks, als Mittelstürmer oder Mittelläufer, bis man in den Schlußspielen der Südwestgruppe im Jahr 1934 auf ihn besonders aufmerksam wurde und man ihn zu den drei Derby-Counti-Spielen heranzog. Wie oft wurde damals behauptet, daß Siffling von den Mannheimer Zeitungen gemacht oder forciert worden sei: nun ja, seine Leistungen als Spieler der deutschen Nationalmannschaft in zehn schweren Kämpfen haben seine Berufung, wie jeder weiß, voll und ganz gerechtfertigt.

Ein bescheidener Sportsmann.

Wenn man auf seine zehn Länderspiele zu sprechen kommt, so merkt man (und es tut einem wohl) nichts von seiner Ueberheblichkeit, mit der er sein Wirken hervorheben möchte, nein, er erzählt still und schlicht mit einer allzugroßen Bescheidenheit von allen möglichen Eindrücken in fremden Ländern, von schönen und harten Spielen, von überragenden Spielen des Gegners oder der eigenen Mannschaft, aber bei Fragen über seine eigene Person weicht er aus, wie er überhaupt nicht viel Aufhebens von seiner Person machen will.
„Das Spiel gegen Oesterreich in Neapel“, so erzählt Siffling „war das schönste, das die deutsche Nationalelf lieferte, denn da lief alles wie am Schnürchen und bei etwas mehr Fußballglück hätten wir in der ersten Halbzeit schon mit ein paar Toren mehr führen müssen. Der schwerste Länderkampf aber war der gegen die Tschechoslowakei in Dresden, wo wir gegen einen erstklassigen Gegner bis zum Letzten kämpfen mußten.“ Bei der Frage aber: „Welches war Dein bestes Länderspiel?“ da muß man auf eine klare Antwort Sifflings verzichten und sich sein Bild hierüber selbst aus den Spielkritiken der letzten Spiele machen.
Spielkritik! Auch zu dieser Frage äußerte sich Otto mit den Worten: „Meine erste Spielkritik ist der Bundestrainer Nerz und dann bin ich in letzter Instanz mein strengster Kritiker selbst. Was dann noch geschrieben wird, interessiert die anderen mehr wie mich.“
Ueber die Kameradschaftlichkeit in der Ländermannschaft äußert er sich sehr lobend. Besonders haben es ihm, neben seinen süddeutschen Spezialfreunden, anscheinend die Düsseldorfer wegen ihres Mutterwitzes angetan.

Vor- und Nachteil.

Wenn man bei all der Bescheidenheit, mit der die Fragen beantwortet werden, überhaupt vom Stolz sprechen kann, dann in dem Moment, wo Siffling auf die Verleihung der silbernen Ehrennadel durch den DFB und die Aktivität seiner Länderspielbilanz zu sprechen kommt. Neun Siege bei zehn Länderspielen sind auch fürwahr eine erfreuliche Bilanz. Dabei hofft Siffling bei seiner Jugend (im August dieses Jahres wird er erst 23 Jahre alt) noch recht oft das Nationaltrikot tragen zu dürfen, vorausgesetzt natürlich, daß seine Form anhält und er nicht durch Verletzungen zum Aussetzen gezwungen wird. Bei dem Kapitel „Verletzungen“ bringt Siffling etwas vor, was die Klage aller Nationalspieler zu sein scheint und was auch im „Kicker“ schon wiederholt zur Sprache gebracht worden ist. Es ist das allzuharte Angehen, ja in manchen Fällen roh zu nennende Spiel, mit dem die bekannten Spieler von ihren Gegnern in Privat- und auch Verbandsspielen „bewacht“ werden. „Ein mancher Läufer oder Verteidiger“, so erklärt Siffling, „will am nächsten Tage nur noch lesen, der Mittelläufer X hat den Internationalen Conen oder Lehner oder Hohmann kaltgestellt oder nicht zur Entfaltung kommen lassen.“ Daß aber dieses „Kaltstellen“ oft mit unfairen Mitteln geschieht und von allen anständigen Sportleuten abgelehnt wird, scheint diesen „Kaltstellern“ egal zu sein, denn sonst würden sich diese Klagen nicht dauernd wiederholen. Leider gibt es auch Fälle, wo man bei Schiedsrichtern nicht den richtigen Schutz findet, sagt S., die wohl das Reklamieren wegen des Fouls, aber nicht Foulspielen selbst abstellen.

Siffling als Mensch.

Den Lesern, die dies interessiert, sei verraten, daß er von Beruf Modellschreiner ist und bei den Daimler-Benz-Werken auf dem Waldhof arbeitet. Er ist still, in manchen Fällen wortkarg, will auch beileibe nicht in seinem Privatleben der Beste sein. In seiner Bescheidenheit wird er auch von der Stadt Mannheim unterstützt, denn es ist bis heute noch kein Glückwunschkärtchen und kein Blumengruß nach dem Mannheimer Norden geflattert.

Eine Fußballer-Familie.

Siffling hat noch zwei Brüder, die beide ebenfalls sehr gute Fußballer sind und von denen der eine auch schon bei Waldhof in der Liga gespielt hat und heute noch bei Lindenhof in der Liga spielt. Von seinem jüngsten Bruder aber hält Siffling besonders viel und prophezeit ihm mit „Kennerblick“ noch eine große fußballerische Zukunft. Nun dann, viel Glück ihr Sifflings, bei Eurer weiteren sportlichen Betätigung!
Waldhof ist stolz auf seine fünf aus dem Verein hervorgegangenen Fußballinternationalen und auch die vier Handballinternationalen, Spengler, Engelter, Schmidt und Rutschmann. Waldhof ist stolz auf die Erringung der Deutschen Handballmeisterschaft 1933. Gibts einen besseren Beweis für die sportliche Arbeit des an und für sich kleinen Vereins und den guten Nährboden, den Waldhof für manche Talente darstellt? – Hoffen wir, daß noch ein mancher Könner auf dem Waldhof heranreifen wird, auch wenn die Bäume in dem schon so oft von wildem Kampfgeschrei widerhallenden „Wäldchen“ nicht mehr sind und vielleicht einer Wohnkolonie Platz gemacht haben.

aus: Der Kicker, 27 (1935), 02.07.1935, S. 27