Otto Siffling – Zum Gedächtnis

Hermann Kriege

Unfaßbar war uns allen die Nachricht, als uns am 20. Oktober das Ableben unseres lieben Otto Siffling gemeldet wurde. Wir wußten von seiner Erkrankung, wir wußten auch, daß sich sein Zustand verschlimmerte, aber nie kam in uns der Gedanke auf, daß wir unseren Otto verlieren könnten. Wenn in all den letzten Tagen von ihm berichtet wurde, so sahen wir nur den jugendfrischen Otto Siffling vor Augen, wie er auf dem grünen Rasen spielte und kämpfte – an sein Scheiden von uns, daran konnten wir nicht glauben.
Das Schicksal hat es anders gewollt und der Tod hat ihn von seinem Leiden erlöst.
Ganz Fußball-Deutschland trauert um einen seiner Besten, aber neben seiner Familie ist es der Sportverein Waldhof, den dieser harte Schicksalsschlag am meisten trifft. Wir, denen Otto Siffling lange Jahre Mitstreiter, Kamerad und Freund war, wissen allein den Verlust in seiner ganzen Schwere zu beurteilen. Denn in unserer Gemeinschaft wuchs er heran, in unserer Gemeinschaft wirkte er und aus unserer Mitte wurde er durch ein unerbittliches Geschick abberufen. – Wir kannten ihn bei Kampf und Sieg, wir kannten ihn in schönen und schlechten Tagen und immer stand er uns nahe als Sportsmann, Mensch und Kamerad. Unser Weg war auch sein Weg und daß wir jetzt weiter in die Zukunft schreiten müssen ohne ihn, daß er nicht mehr wie bisher unser Mitkämpfer ist, das erfüllt uns, seine Kameraden vom Sportverein mit tiefem Schmerz.
Sein Platz war schon von frühester Jugend an bei uns:
Als Schüler sehen wir ihn schon auf dem traditionsreichen Sportplatz an der Waldhof-Schule, wo kurz nach Ende des Weltkrieges eine große Mannschaft den sportlichen Ruhm unseres Vereins begründete. Das Wirken dieser Hutter, Lohrmann, Herberger, Schwärzel, Lidy, Bausch, Skudlarek und Höger hat sicher auch befruchtend auf den Tatendrang des jungen Otto gewirkt; denn es diesen Großen später einmal gleich zu tun, war auch sein sehnlichster Wunsch. Dieser Wunsch wurde bald Wirklichkeit, denn unaufhaltsam vollzog sich sein Aufstieg, in jeder der unteren Mannschaften war er der alle überragende Könner und so sahen wir Otto Siffling schon mit 17 Jahren in der Ligamannschaft. In diese wurde er berufen, als er sein Können bei einem 7:0 Sieg in der Ersatzliga, wobei er alle 7 Tore schoß, nochmals ausdrücklich unter Beweis stellte. Obwohl es dieses Beweises nicht bedurft hätte, denn alle die fußballerischen Tugenden, die wir später in so großem Maße an ihm bewunderten, waren schon in ihm herangereift und mußten nur noch ihre Abrundung und Bewährung im Spielbetrieb der Liga erfahren. Dieser Vollblut-Fußballer stand noch zu Lebzeiten unseres unvergessenen Albert Brückl in der ersten Mannschaft, nahm nach Brückls Tod dessen Erbe in seine Hände und war in all den Jahren seiner Tätigkeit in der Ligamannschaft der große Spieler und Stratege, als der er in die Geschichte unseres Vereins eingegangen ist. Waldhof und Siffling wurde ein Begriff und daß dieser Begriff auch in ferneren Zeiten Bestand haben wird, dafür hat Otto Siffling durch sein großes Können in reichem Maße gesorgt.
Die Krönung seiner sportlichen Lebensarbeit erfuhr Siffling durch seine Berufung in die deutsche Nationalmannschaft. Mit 22 Jahren erging zum ersten Male der Ruf an ihn, sich in Deutschlands Fußball-Streitmacht anläßlich der Weltmeisterschaft in Italien einzureihen und so groß waren dort seine Erfolge, daß er für die nächsten Jahre zum eisernen Bestand der Nationalelf zählte. Auf allen Stadien Europas findet Sifflings Kunst höchsten Anklang und Bewunderung und für manchen schönen Sieg Deutschlands war er oft der ausschlaggebende Kämpfer. Einunddreißigmal trug er die deutschen Farben und er hat sie mit Ehre und Würde getragen. Daß bei seiner Mitwirkung nur 5 Spiele verloren gingen, daß also seine Länderspielbilanz so überaus erfolgreich war, hat ihn immer mit besonderem Stolz erfüllt. – Als einer der größten deutschen Nationalspieler ist er in die Geschichte des deutschen Fußballsportes eingegangen. –
Groß waren seine Erfolge und groß die Ehrungen, die Siffling erfuhr. Aber je größer die Popularität und je größer die ihm zugedachte Anerkennung, desto bescheidener wurde unser lieber Otto. All sein Kämpfen und Einsetzen für den Fußball-Sport betrachtete er als Selbstverständlichkeit, nie drängte er sich vor und nichts war ihm mehr zuwider, als daß man besonderes Aufheben mit seiner Leistung machte. Kapital hat er nie aus seiner Kunst geschlagen, wie es so viele taten, die weit unter ihm standen. Nein, er spielte um des Spielens Willen und das trug auch in großem Maße dazu bei, daß er uns so menschlich nahe stand und von anderen – nicht verstanden wurde. Siffling und Reporter – das gab es nicht; Bankette und Siffling – das gab es nicht, dafür gab es Bankette, wo man Siffling vergeblich erwartete oder aber zum mindesten lange suchen mußte. Er war kein Mensch, der sich auf dem oft so glatten Parkett des Lebens zu bewegen verstand, auf dem Sportplatz, auf dem grünen Rasen, da war er zu Hause, da war sein Spiel das beste Interview. –
Er war kein Meister des Wortes, der die Rede zu führen verstand wie ein Fechter das Florett, nein, er sprach die Sprache des Volkes und das Volk, die Hunderttausende auf den Rängen verstanden ihn. Ja, er war kantig und geradeaus, nicht so aalglatt, wie ihn manche sich wünschten oder wie manche sich einen Internationalen vorstellten. Dafür hatte er aber ein goldenes Herz und eine durch nichts zu trennende Anhänglichkeit an die, die sein Vertrauen gewonnen hatten. Er war knapp in seinen Worten, dafür hatte er aber eine Treffsicherheit im Urteil, besonders in sportlichen Dingen, die sich oftmals wohltuend von der Zungenfertigkeit der anderen abhob. Ehrlich und bescheiden war unser Otto und sein Wort galt im Kreise seiner Kameraden.
Otto den Schweigsamen nannten ihn oft seine Freunde von der Nationalmannschaft; wenn aber der zündende Funke auch auf ihn übersprang und er dann von seinen Länderkämpfen sprach, da offenbarte sich uns jener Siffling in der ganzen Aufgeschlossenheit seines ehrlichen Gemütes, wie ihn leider viele Außenstehende nicht kennen zu lernen in der Lage waren.
Wie bei allen Personen, die infolge ihrer Popularität der Allgemeinheit gehören, so rankt sich auch um seine Person ein Kranz von Geschichten, die, falls sie nicht ganz frei erfunden, doch mehr oder weniger entstellt und vergröbert waren. Ja, man scheute sogar nicht davor zurück, ihn, dessen Könnerschaft und sportliche Erfolge man nicht erreichen konnte, wenigstens auf andere Art zu verkleinern. Und daß hierzu sogar zu unfairen Machenschaften gegriffen wurde, das hat uns, seine Freunde, zu seinen Glanzzeiten schon tief gekränkt. An ihm aber prallten alle diese Versuche ab, und – das wissen auch seine ehemaligen Gegner – der Tod versöhnt.
Auch das mußte einmal gesagt sein und ich hätte es nicht geschrieben, wenn ich nicht wüßte, daß Otto mir auf die Schulter klopfen und in seiner knappen Art sagen würde: Recht so.
In uns bleibt sein Bild erhalten, so wie wir es von ungezählten, manchmal sogar unwesentlich erscheinenden Begebenheiten gewonnen haben: einfach, ehrlich, bescheiden, gradlinig und treu.
Und seine sportliche Größe, die wird ihm von keiner Seite geschmälert werden. Da überzeugte er alle.
Seine beispiellose Härte gegen sich selbst, seine Schlichtheit und dadurch seine menschliche Größe bewies er noch im Tode; nie haben wir ihn in seiner letzten Leidenszeit klagen gehört.
Unseren lieben Otto haben wir inzwischen zu Grabe getragen. Noch einmal schlug ihm die Liebe seiner tausenden Anhänger, Freunde und Bewunderer entgegen. Die Spieler aller Mannheimer Vereine, die ihn und seine Kunst in ungezählten Kämpfen fürchteten und achteten, heute ehrten sie ihn. Und ein Bild, das man sonst auf Friedhöfen nicht zu sehen wünscht, heute gehörte es dazu, heute hatte man Verständnis dafür und heute mußte man es als Symbol für die Verbundenheit Otto Sifflings mit der Jugend werten: so wie sie sich immer drängten, jedes Dach, jeden Baum und jede Sichtmöglichkeit ausnutzten, wenn Otto spielte, so waren hunderte Jungen auf den Mauern des Käfertaler Friedhofes, als man ihr so oft umjubeltes und von ihnen heißgeliebtes Vorbild zu seiner letzten Ruhestätte trug.
Otto Siffling ist tot; wir werden ihn oft, allzuoft vermissen. In uns aber wird das Idealbild jenes Siffling sein, der im Höhepunkt seines sportlichen Lebens ein Künstler des Lederballs – ein Otto Siffling – war.
Otto Siffling ist tot. Diese Worte sind uns Sportvereinlern Trauer, Mahnung und Gelöbnis zugleich.
Trauer um unseren großen Toten,
Mahnung für die Jugend, dem Verstorbenen in seiner sportlichen Größe nachzueifern,
Gelöbnis unseren lieben Otto nie zu vergessen.

aus: Der Waldhof. Mitteilungsblätter des Sportvereins Mannheim-Waldhof E. V. von 1907, Mannheim, 11 (1939), Nr. 8, Oktober 1939, S. 2 und 3